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Hausarbeit vorgelegt von Die Übertragung als Begriff in der Psychoanalyse und als Problem in Lerngruppen
Inhaltsverzeichnis: 2. Zur Bedeutung der Übertragung für die psychoanalytische Therapie 3 3. Zur Problematik von Übertragung in Lerngruppen 8
KAPITEL 1 In Gruppen ist das Lernen in der Regel nicht allein auf eine reibungslose Wissensvermittlung beschränkt. Regelmäßig entstehen Debatten oder gar harte Auseinandersetzungen um den Lernstoff, die Person des Kursleiters, der eines Teilnehmers oder ähnliches, die die Arbeit des Kursleiters schwer machen. Sehr oft sind die Auseinandersetzungen auch sehr emotioneller Natur. Meistens sind die Konflikte sicherlich durch die Sache, die verhandelt wird, begründet. Häufig jedoch lassen sich geäußerte Positionen, Ängste und Aggressionen nicht zureichend durch die gegenwärtige Lernsituation erklären. Von daher kann der Kursleiter den Eindruck gewinnen, hier handele es sich um eine äußerliche Behinderungen seiner Arbeit. Diese von außen in die Lernsituation getragenen Störungen des Unterrichts können als psychoanalytische Übertragungsprozesse beschrieben werden. Gegenstand der vorliegenden Arbeit soll zunächst eine Erörterung des Begriffs "Übertragung" anhand der psychoanalytischen Texte Freuds sein. Mit Hilfe des Aufsatzes von Herbert Gerl "Übertragung und Lernen" soll dann eine Problematisierung der Anwendung des Begriffs auf Gruppensituationen folgen. Den Schluß bilden Überlegungen zur pädagogischen Praxis, wie Übertragungen vermieden werden können und inwieweit der Pädagoge mit Übertragungen rechnen muß und vorbereitet sein muß und sie für seine Zwecke nutzen kann.
KAPITEL 2 Die psychoanalytische Kur ist in erster Linie eine Gesprächstherapie, in der unbewußte seelische Inhalte verbalisiert werden. Die Psychoanalyse lehrt, daß psychische Kräfte ein Bewußtwerden dieser Inhalte verhindern. Um erfolgreich eine Kur zu bewerkstelligen, müssen andere seelische Kräfte mobilisiert werden, die dem entgegenwirken. Als eine entgegenwirkende Kraft ist zunächst einmal der Wille des Patienten nach Gesundung aufgrund seiner Leiden, die ihn in die Praxis des Arztes führen, anzugeben. Es wird aber auch viel verborgenes Material aus "Liebe zum Arzt" zu Tage gefördert. Hier sieht Freud einen Ansatzpunkt für die therapeutische Wirkung. Anhand der Frage: "Woher erwirbt der Arzt seine Mächtigkeit auf den Patienten und auf den Krankheitsverlauf einzuwirken?" entwickelt Freud den Begriff der Übertragung. Um den Begriff der Übertragung zu erläutern und seine Funktion in der Therapie anschaulich zu machen, ist es notwendig sich über allgemeine Punkte in den Problemen der Patienten im Klaren zu sein. Zunächst sind die Probleme der Patienten als psychische Konflikte zu beschreiben, in denen individuelle Wünsche mit Bedingungen der Realität und Moral- oder Wertbegriffen kollidieren. Diese Konflikte allein machen noch keinen Gang zum Arzt notwendig, vielmehr müssen sie von jedem einzelnen tagtäglich bewältigt werden. Was nun einen pathologischen oder neurotischen Konflikt kennzeichnet ist die Tatsache, daß der Konflikt nie zu einem Ende geführt werden konnte. Die Kräfte, die in dem Konflikt wirkten, waren so stark, daß ein mehr oder minder gütlicher Kompromiß nicht zustandegebracht werden konnte, sondern die Konfliktgegner gleichsam abrupt auseinandergerissen werden mußten, um den Qualen des Konflikts zu entkommen. Diesen Vorgang nennt die Psychoanalyse Abspaltung oder auch Verdrängung, wobei einem Part des Konflikts oder der gesamte Konflikt der Zugang zum Bewußtsein verwehrt wird bzw. seine Inhalte und Affekte im Unbewußten zurückgehalten werden. Der Patient verweigert die Kenntnis von der Existenz des Konflikts. Freud beschreibt diesen Zustand bildlich als "Konflikt zwischen Eisbär und Walfisch". Der neurotische Konflikt ist also dazu verdammt, daß er keinen Abschluß finden kann. Er ist zwar nicht mehr als Konflikt erkennbar, aber er wirkt weiter und führt zu den Beschwerden und Symptomen des Patienten. Die Analyse hat nun die Aufgabe dem Konflikt zu einem Ende zu verhelfen und dies bewerkstelligt sie, indem sie den Eisbär und den Walfisch auf dem selben Boden aufeinandertreffen läßt. Sie versucht den unbewußten Konflikt in einen normalen zu verwandeln, die Verdrängung rückgängig zu machen, also das Unbewußte im Bewußtsein fortzusetzen. Diese Arbeit kann nur mit Hilfe der Erinnerung geleistet werden. Hierfür hat Freud die psychoanalytische Grundregel in die Therapie eingeführt. Der Patient soll "in einem Zustand von ruhiger Selbstbeobachtung ohne Nachdenken ... alles mitteilen, was er dabei an inneren Wahrnehmungen machen kann: Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, in der Reihenfolge, in der sie auftauchen. Wir warnen ihn dabei ausdrücklich, irgendeinem Motiv nachzugeben, welches eine Auswahl oder Ausschließung unter den Einfällen erzielen möchte, möge es lauten, das ist zu unangenehm oder zu indiskret, um es zu sagen, oder das ist zu unwichtig, es gehört nicht hierher, oder das ist unsinnig, braucht nicht gesagt zu werden. Zunächst befolgt der Patient die Grundregel und kann unaufhörlich Material vorbringen. Aber regelmäßig und notwendig gelangen die Patienten an einen Punkt, an dem sie die Grundregel verletzen und hartnäckig schweigen. Hier verortet die Psychoanalyse eine Form von Widerstand, der die unbewußten Inhalte vor der Aufdeckung bewahren soll. Eine andere Form des Widerstandes, die Grundregel zu verletzen, ist das Abbrechen der Verbalisierungsversuche des Unbewußten zugunsten eines Tätigwerdens der Patienten in der Therapiestunde. Die Psychoanalyse bezeichnet dieses Tätigwerden als Ausagieren, und hiermit nähern wir uns dem Phänomen der Übertragung. Unter der Herrschaft des Widerstandes erinnert sich der Analysand nicht mehr, sondern er benimmt sich trotzig oder liebevoll gegen den Arzt. Weder die Person des Arztes noch die analytische Situation gaben einen aktuellen Anlaß für dieses Ausagieren. Der Grund für das Agieren ist in der Person des Analysanden zu suchen. Ein Weg zur Aufklärung der Übertragung führt über die spezielle Form, in der ausagiert wird. Regelmäßig handelt es sich hierbei um die Ausübung von Autoritätskonflikten oder von Liebesbekundungen, die schon in der Kindheit in dieser Form praktiziert wurden. Die Erfahrung der Psychoanalyse auch in anderen Bereichen: In der Kindheit entwickelt jeder Mensch bestimmte Eigenarten, wie er beispielsweise das Liebesleben ausübt, bestimmte Triebe dabei verfolgt und sich bestimmte Ziele setzt. Diese Eigenarten werden Klischees genannt, die im Laufe des Lebens jedesmal angewendet und von daher wiederholt werden. Ein Teil dieser Klischees stehen der bewußten Persönlichkeit zur Verfügung, weil sie sich der Realität zugewendet haben und so eine psychische Entwicklung durchgemacht haben. Der andere Teil ist der bewußten Person unbekannt im Unbewußten verblieben bzw. wurde ins Unbewußte abgedrängt. Wird dieser Teil der Libido auf den Arzt angewendet, so heißt es Übertragung. In der Übertragung erinnert sich der Analysand nicht, daß er sich zum Beispiel trotzig gegen seinen Vater verhalten hat, sondern er benimmt sich trotzig dem Arzt gegenüber. Anders ausgedrückt: der Analysand versucht nicht mehr durch erinnern sich seiner psychischen Struktur bewußt zu werden, sondern er wiederholt die Kindheitsszene. In gewissen Sinne könnte man die Wiederholung als ein Art von Erinnerung bezeichnen, aber der Analysand ist sich dessen nicht bewußt, sondern glaubt sich in einer aktuellen Auseinandersetzung zu befinden, obwohl die Wiederholung geradewegs ein Ausdruck seiner Neurose ist. Für die Analyse hat dieser Zeitpunkt eine ganz besondere Bedeutung. Der Patient wiederholt alle seine Symptome, unbrauchbaren Einstellungen, pathogenen Charakterzüge und Hemmungen. Seine Krankheit wird zu einer aktuellen Macht und auf diese Weise wird sie von ihm selber Stück für Stück in den Wirkungsbereich der Therapie gerückt und gebündelt. Es hat sich gerade das Material in die Analyse eingefunden, das sie gesucht hat und es wird ein Stück realen Lebens des Patienten heraufbeschworen. Mit der Übertragung richtet der Arzt einen Tummelplatz für die pathogenen Triebe des Analysanden ein. Die Übertragung bildet gleichsam ein Zwischenreich zwischen Krankheit und Leben. Sie hat alle Charaktere der Krankheit, ist aber eine artifizielle, beeinflußbare Konfliktebene mit weniger restriktiven Bedingungen als in der Kindheit dem Ursprung der Krankheit. Der Arzt richtet sich auf einen Kampf um die psychoanalytische Grundregel, alles zu verbalisieren, ein. Er versucht alle Impulse auf psychischem Gebiet zu halten, während der Patient unter dem Einfluß des Widerstandes versucht die Impulse auf das motorische Gebiet zu lenken. Die Übertragungsidee stellt sich deshalb ein, weil sie dem Widerstand genüge tut: vom neurotischen Konflikt kann scheinbar abgelenkt werden. Aber diese Entstellung wie alle anderen stellt sich als nutzlos gegen die Aufdeckung heraus. Deutet der Arzt das Material des Widerstandes und des Ausagierens als wichtigen Bestandteil des neurotischen Konflikts, erhält er viele Informationen über die Krankheit. Gleichzeitig kann er in der Übertragung als Konfliktpartner auftreten und dem neurotischen Konflikt eine neue Wendung geben. Wird auf den Arzt die väterliche Autorität übertragen, so kann er durch die Darstellung eines milden Über-Ichs die Konfliktspannung geringer halten und damit für den Patienten balancierbar machen. Für den Abbau des Widerstandes braucht der Patient Zeit, die Symptome verschlimmern sich vorübergehend, aber gerade hier findet die größte verändernde Arbeit der Therapie statt. KAPITEL 3 Im vorangeganen Kapitel wurde das Phänomen der Übertragung innerhalb des intimen Verhältnisses zwischen Analysand und Analytiker dargestellt und seine entscheidende Rolle im therapeutischen Prozeß betont. Die Frage, die sich nun stellt, ist einerseits: treten Übertragungsphänomene auch in verhältnismäßig kurz andauernden Gruppenzusammenhängen auf? Und andererseits: Welche Bedeutung erhält eine Übertragung, wenn keine therapeutische Wirkung erzielt werden soll, sondern sich die Gruppe sich in einer Lernsituation befindet? Zu diesen Fragen äußert sich Herbert Gerl, Professor im Studiengang Weiterbildung in Bremen, in seinem Aufsatz "Übertragung und Lernen". Gerl beschäftigt sich hier mit Störfaktoren im Lernverhalten Erwachsener insbesondere mit der Übertragung. Das Erkenntnisinteresse ist die Entwicklung von Handlungsvorschlägen für Erwachsenenbildner. Im Folgenden soll der Artikel in groben Zügen wiedergegeben werden, um Gerls Argumentationsstrategie deutlich werden zu lassen. Der Artikel beginnt mit einem Zitat Freuds, durch das deutlich wird, daß Übertragung ein allgemeines Phänomen ist, sich in allen zwischenmenschlichen Beziehungen spontan herstellen kann und diese bestimmen. Gerl verallgemeinert diese These dahin gehend, daß "Erwachsene ... - ohne sich dessen bewußt zu sein - immer auf der Suche nach Möglichkeiten [sind], das in früheren Lebensphasen Verbotene und Versäumte nachzuholen, die ,verlorene Zeit wiederzufinden und wiederzubeleben. ... eine Wiederholung, die sowohl liebevolle, zärtliche Gefühle wie allerdings auch Empfindungen der Unterlegenheit, Abhängigkeit, des Ausgeliefertseins und ... Regungen der Wut, des Hasses, der Ablehnung beinhalten kann." Schon beim zweiten Teil des Freudzitats, nämlich über die Bemächtigung der Übertragung für die Ziele der Psychoanalyse, setzt sich Gerl als Erwachsenenbildner von der Psychoanalyse ab. Ihm sei kein pädagogisches oder didaktisches Konzept bekannt, das die Übertragung zum Motor des Lerngeschehens erklärt. Vielmehr gibt Gerl durch Übertragungen motivierte Verhaltensstrukturen an, die die Lernsituation ausschließlich behindern oder gar verhindern. "- Da gibt es Teilnehmer, die sich mit der Person des Kursleiters identifizieren. Sie werden, sofern andere Teilnehmer in irgendeiner Weise dem Kursleiter widersprechen, ihn vielleicht kritisieren, auf diese anderen Teilnehmer böse. Sie hören nicht eigentlich auf das, was in der Sache vorgebracht wird, gehen nicht darauf ein; sie verteidigen ihn, versuchen ihn als Person wie gegen einen Angriff zu schützen. - Es gibt Teilnehmer, die eine starke, nicht überwindbare Angst vor dem Kursleiter haben, selbst wenn ihnen dieser durchaus freundlich begegnet. Es gelingt ihnen nicht, sich in der Lerngruppe offen und frei zu äußern. Sie befürchten immer, etwas Falsches und Dummes zu sagen, den Anforderungen nicht zu genügen - auch wenn faktisch gar keine besonderen Leistungsanforderungen gestellt werden. - Es gibt Teilnehmer, die dem Kursleiter von vornherein aggressiv begegnen, schon bei seinen ersten Sätzen einhaken, ihn auf einzelne Worte festnageln, ihn relativ unabhängig von dem, was er sagt, in eine Auseinandersetzung ziehen (wollen). - Es gibt Teilnehmer, die jede Form von Programm- oder Methodendiskussion strikt ablehnen und den Kursleiter auffordern, doch von sich aus festzulegen, was und wie im Kurs gearbeitet wird. Sie seien bereit sich unterzuordnen. Alles andere sei Zeitverschwendung. - Als Sonderfall der eben skizzierten Beobachtung: Es gibt Teilnehmer, die auch bei wohl begründeter, vom Thema her gebotener Gruppenarbeit sofort und entschieden dagegen Front machen und betonen, sie seien hierhergekommen, um etwas zu vom Kursleiter zu hören und zu lernen." Auch in der Analyse stellt sich die Übertragung zunächst als eine Behinderung bei der Einhaltung der Grundregel dar. Freud sah jedoch gerade in den Widerständen und Störungen die Möglichkeit einen Fortschritt in der Therapie zu erzielen. In der Lernsituation, wie sie an den Beispielen von Gerl ersichtlich ist, stellt sich die Sache scheinbar anders dar. Wenn es sich um die Vermittlung von positiven Wissen handelt, also um den Transport von möglichst großen Mengen an Lehrstoff von einem wissenden Subjekt zu einem unwissenden Subjekt und nicht um die Erforschung des Seelenlebens, so gilt jeder Zwischenfall, der den Transportfluß ins Stocken bringt als äußerliche, vom Stoff unabhängige Behinderung, die durch alle Mittel zu beseitigen ist. Mit dieser Bemerkung wird deutlich, daß Gerl die Übertragung nicht nur nicht als möglichen Motor für das Lernen betrachtet, sondern als vom Lernen unabhängig und für überflüssig hält. Im Folgenden diskutiert Gerl Analysen und Handlungsvorschläge für Kursleiter von Tobias Brocher. Brochers Analyse weißt auf den unbewußten Wunsch der Gruppenmitglieder nach einer Gruppenzugehörigkeit hin, die ihr Vorbild in infantilen Erlebnissen hat. Diesem wird vom Kursleiter auf ebenfalls unbewußter Ebene geantwortet und bestimmt von daher die Lernsituation. Der Erwachsenenbildner sollte sich also der Tatsache der Übertragung bewußt sein, deren Dynamik wahrnehmen und sich darauf einstellen. Die auf Übertragungen beruhenden Kommunikationsschwierigkeiten einzelner sollte der Kursleiter als allgemeines Problem der Gruppe einbringen können. Der Kursleiter soll sich also wie ein Therapeut verhalten. Gerl stellt fest, daß diese Vorschläge keinen nennenswerten Einfluß auf die Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung ausgeübt haben. Er begründet dies im Wesentlichen mit der Natur der Übertragung wie sie die psychoanalytische Erfahrung zeigt. Ist sie erst einmal hergestellt, so gestaltet sich der Prozeß der Auflösung schon in der analytischen Zweierbeziehung langwierig und schwierig. In der Gruppe mit ihren vielschichtigen Projektionen erscheint dieser Prozeß als ein aussichtsloses Unterfangen. Brochers Handlungsanweisungen sind somit keine Hilfe für den Kursleiter. Ein Weg für diese Schwierigkeit trotzdem Handlungsanweisungen geben zu können ist für Gerl die Möglichkeiten zu erwägen Übertragungsphänomene von vorne herein zu vermeiden. Hierzu analysiert er zunächst das psychoanalytische Setting in Hinblick auf übertragungsfördernde Qualitäten. Als erstes ist die asymmetrische Gesprächssituation zu nennen. Der Patient hat die Aufgabe kontinuierlich zu sprechen, ohne vom Arzt eine Antwort zu erhalten. Der Arzt hält sich mit seinen Gefühlen und Gedanken physisch wie psychisch bedeckt, um ausschließlich für die Krankheit des Patienten Raum zu lassen. Der Arzt versucht so eine möglichst verzerrungsfreie Projektionsfläche zu bilden. In der Lerngruppe kann sich durch das Verhalten des Gruppenleiters eine vergleichbare Undurchschaubarkeit in verschiedenen Graden herstellen. Sie ist abhängig von der Offenheit und persönlichen Präsenz des Gruppenleiters sowie von der Echtheit und Genauigkeit seines Ausdrucks und der Subjekthaftigkeit seiner Gedanken und Empfindungen. Je wahrnehmbarer für die Gruppenmitglieder sich der Kursleiter in seiner Persönlichkeit durch "Ich-Botschaften" macht, desto weniger eignet er sich als Projektionsfläche für Übertragungen. Dagegen gibt es allein in der Alltagskommunikation Interaktionsstrategien, die Übertragungen fördern, indem man unpersönlich spricht, sich entzieht oder überhaupt ausweicht. Undurchschaubar macht sich der Kursleiter, wenn er der Gruppe seine Problemsicht aufoktroyiert, ohne daß er nach der Perspektive der Teilnehmer fragt oder sein Denken hinterfragbar ist. Der Kursleiter muß sich darüber im Klaren sein, daß seine Äußerungen nicht nur Antworten auf einzelne Fragen sind, sondern immer auch Antworten auf die Person des Lernenden. Fühlt sich der Lernende nicht verstanden und in seinen Überlegungen angenommen, so fühlt er sich aus der Gemeinschaft der Lernenden ausgeschlossen. Er wird in die Situation eines dummen Kindes zurückgeworfen, das die Eltern nicht versteht. In dieser Abhängigkeit bleibt ihm nur, sich entweder dem Lehrenden zu unterwerfen oder ihn zu bekämpfen oder davonzulaufen. Die Verwechslung der aktuellen Lernsituation mit der infantilen Szene ist perfekt. Die Übertragung ist immer ein Ausstieg aus der Gegenwart. Hier findet nicht mehr ein Austausch von Argumenten, Meinungen und Erfahrungen, d.h. Aufklärung, statt, sondern ein Kampf zwischen den Personen. Jeder will im Recht bleiben, versucht sich zu retten und verhält sich daher taktisch, kontrolliert seine Äußerungen und beutet die Schwächen des anderen aus. Angst auf beiden Seiten beherrscht die Szene. Lernen dagegen bedarf des flüssigen Austauschs und Offenheit. Es müssen Fehler gemacht und rückhaltlose Antworten erwartet werden dürfen. Als Vorbild für einen beinahe übertragungsfreien Raum nennt Gerl die Gesprächstherapie. Ihr interaktiver Ansatz zielt, im Gegensatz zum triebtheoretischen Ansatz von Brocher, auf präventive Maßnahmen. So ist die Gesprächstherapie auf symmetrisches Setting bedacht, dessen einziges Interesse es ist, die Welt des Klienten aus der Sicht des Klienten zu verstehen. Für den Kursleiter ergibt sich die notwendige Einstellung, daß er den Lernenden als Person in ihrem Denken und Empfinden akzeptieren muß, um Angstentwicklungen zu verhindern. Durch genaues und "aktives" hinhören soll er versuchen die Teilnehmer verstehen und sein Verstehen ihnen mitteilen. Er soll daraus eine gemeinsame Sprache entwickeln, die wechselseitige Lernchancen ermöglicht. Wenn er nach Informationen befragt wird, soll er informieren. Werden von den Teilnehmern Bewertungen, Wünsche oder Konflikte thematisiert, soll er in "Ich-Botschaften" sprechen, um seine Äußerungen als persönliche Wahrnehmungen zu kennzeichnen, die damit nachvollziehbar, diskutierbar und revidierbar werden. Die größten Fehler macht der Kursleiter, wenn er im psychoanalytischen Sinne "agiert", indem er seine Autorität hervorkehrt, anordnet, Vorwürfe macht, moralisiert, von sich aus Teilnehmer bewertet, ihr Verhalten deutet, Sachzwänge vortäuscht, bei Konflikten ausweicht, beschwichtigt oder ablenkt. Diese Fehler werden am Besten, so Gerl, vermieden, wenn der Kursleiter es sich zur Maxime macht immer aus der Gegenwart heraus zu sprechen und zu handeln, damit Übertragungen gar nicht erst produziert werden können. KAPITEL 4 Gerls Handlungsvorschläge für Kursleiter sind nicht zu kritisieren. Im Gegenteil, sie sind nicht nur in Bezug auf die Entstehung von Übertragungsphänomenen wirksam, sondern geradezu selbstverständlich für eine sachliche und effektive Lernsituation. So ist es notwendig, daß der Leiter sehr genau die Äußerungen der Teilnehmer versteht, damit er an dem Wissensstand der Teilnehmer anknüpfen und sie vorwärts bringen kann. Mit einer zutreffenden Antwort wird dem Teilnehmer am deutlichsten, daß er richtig verstanden wurde. Also auch unabhängig von einer Übertragungsprävention sollten Gerls Vorschläge berücksichtigt werden. Andererseits braucht sich Gerl durch sein Präventionskonzept gar nicht erst mit dem Verhalten des Kursleiters innerhalb einer Übertragungssituation bzw. mit deren Auflösung zu befassen. Das ist unter Umständen ein sehr gefährlicher Standpunkt, da trotz sorgfältiger Vermeidung von übertragungsförderndem Verhalten, Übertragungen zustande kommen können, und der Kursleiter völlig unvorbereitet geblieben ist. In diese Situation geworfen, wird der Kursleiter nicht sachgemäß auf die Übertragungen reagieren können. Vielmehr sollte vor allem im Grundschulbereich die Ausbildung die Lehrer auf diese Situationen vorbereiten. Professionelle und gezielt gelenkte Auseinandersetzungen in Übertragungssituationen wirken persönlichkeitsbildend auf den Kursteilnehmer ein. Versucht man, wie Gerl, eine rigorose Arbeitsteilung in, hier Vermittlung von Lernstoff, dort Entwicklung der Persönlichkeit, so gibt man den Anspruch auf eine umfassende Bildung auf, die die Lerninhalte immer im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung versteht. Übertragungsphänomene können überall spontan auftreten und müssen dort verhandelt werden, wo sie entstehen und können nicht auf eine Therapie verwiesen werden. Die Kursleiter und Lehrer müssen in ihrer Ausbildung vernünftig zu ihrem Verhalten in Übertragungen vorbereitet werden, damit sie keine halbgebildeten "Minitherapeuten" werden müssen. Sigmund Freud, Widerstand und Verdrängung 1917, 19. Vorlesung, Studienausgabe Band 1, Frankfurt am Main 1982 Sigmund Freud, Die Übertragung 1917, 27. Vorlesung, ebenda Sigmund Freud, Zur Dynamik der Übertragung 1912, Studienausgabe Ergänzungsband, Frankfurt am Main 1982 Sigmund Freud, Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten 1914, ebenda Sigmund Freud, Bemerkungen über die Übertragungsliebe 1915, ebenda Herbert Gerl, Übertragung und Lernen. Zur Dynamik interpersoneller Beziehungen in Lerngruppen 1984, aus: Gruppendynamik Heft 3, September 1984
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