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THESE ZU GEGENÜBERTRAGUNGSPHÄNOMENEN IN GRUPPEN Anlässlich der mündlichen Diplomprüfung im Fach Sozialpädagogik/Arbeit mit Gruppen bei Herrn Professor Körner am 17. Mai 2000 THESE: Gegenübertragungsgefühle eines Gruppenleiters betreffen in der Regel dessen Narzissmus. Gegenübertragung ist die Gesamtheit der unbewussten Reaktionen des Analytikers auf die Person des Analysanden und ganz besonders auf dessen Übertragung (Vokabular der Psychoanalyse). FREUD entwickelt den Begriff Übertragung zuerst als libidinöse Gefühlsäußerung des Patienten gegenüber dem Arzt, welche scheinbar als Störung der Therapie auftritt, aber in der Regel ins Herz der behandelten Krankheit trifft. Die Übertragung ist dabei gedoppelt: Einerseits ist sie Ausdruck der aktuellen Beziehung zwischen Patient und Analytiker, andererseits ist sie Wiederbelebung vergangener meist traumatisierter Liebesbeziehungen des Patienten, das heißt eine Projektion unbewältigter Wünsche und Versagungen auf die aktuelle Person des Analytikers. Diese Bindungsangebote provozieren im Arzt entsprechende und an die unbewusste Psyche des Arztes anknüpfende Gefühle, sogenannte Gegenübertragung. Um die Äußerungen der Krankheit verobjektivieren zu können, muss der Arzt in der Lage sein, seine eigenen psychischen Anteile an der Beziehung zu erkennen und zu überwinden (der Arzt kommt nur soweit, wie es seine eigenen Widerstände zulassen). Übertragungen werden gefördert, wenn der Arzt sich so wenig wie möglich in seiner Psyche zu erkennen gibt, das heißt wie ein blank polierter Spiegel zu sein. Übertragung und Gegenübertragung beschreiben die Pole der therapeutischen Beziehung. Seit FREUD hat der Begriff Übertragung einige Erweiterungen erfahren, vor allem hinsichtlich des Eingehens auf das Beziehungsangebot des Patienten, das durch die Übertragung ausgedrückt wird. Ursprünglich hatte sich der Arzt des Beziehungsangebotes bewusst zu sein, aber sich dessen als falsche Objektwahl und verbotene Liebe von vornherein zu entsagen. Dem Patienten blieb nur, seinen Irrtum zu erkennen und durchzuarbeiten. Später wurden die Kenntnisse der Übertragung und Gegenübertragung als Instrumente der Therapie eingesetzt: Der Arzt als reiferes ICH übernahm zum Beispiel die Abwehr der Liebesstrebungen. In der interaktionellen Begrifflichkeit von Übertragung und Gegenübertragung (KÖRNER) übernimmt der Arzt die ihm durch die Übertragung zugetragene Rolle und erreicht über die Triangulierung der Beziehung auf einen exzentrischen Standpunkt zusammen mit dem Patienten eine Reflexion der gesamten Beziehung (Symptom der Erkrankungen ist oftmals die Aufteilung des inneren Konfliktes auf verschiedene Personen). Eine weitere Erweiterung des Übertragungsbegriffes findet in der pädagogischen Verwendung desselben, bei AICHHORN statt. Dieser versucht Übertragungen des Kindes oder Jugendlichen auf den Pädagogen zu provozieren, um anschließend einen erzieherischen Einfluss auf das Kind oder den Jugendlichen auszuüben. Die gemeinten Übertragungen sind aber nicht so tiefgehend und andauernd wie in der Übertragungsneurose, sondern eher adhoc und vorübergehend. Die Kenntnis der Mechanismen und die Analyse der Übertragung bilden einen Wissensvorsprung für den Pädagogen gegenüber dem Kind oder Jugendlichen, die AICHHORN zur Inszenierung lehrreicher, kathartischer Situationen zur Lösung des Konfliktes mit dem Zögling einsetzt. In der analytischen Therapie kreisen die Themen der Übertragungen in der Regel um die Aufarbeitung der ersten Liebesbeziehungen des Patienten, nämlich die zum Vater und der Mutter. Auch in Gruppen finden Übertragungen zum Gruppenleiter und Gegenübertragungen desselben statt. Nun sollte man vermuten, dass diese Übertragungen/Gegenübertragungen einen anderen Charakter und andere Inhalte haben als in der Individualanalyse. Die Differenz von Individualbeziehungen zu Gruppenbeziehungen lässt sich anhand FREUDS Massenpsychologie, als idealisiertes Extrem zur Individualpsychologie, darstellen. Das was die Massen zusammenhält und ihre Macht ausmacht erklärt FREUD mit den libidinösen Bindungen der Individuen in der Masse. Im Gegensatz zur Indvidualpsychologie unterhalten Massenindividuen zwei verschiedene Bindungen gleichzeitig: erstens eine Identifizierung im ICH unter den Massenindividuen und zweitens eine Objektwahl zum Führer mit Sexualüberschätzung bei gleichzeitiger Triebhemmung. Beide Bindungen beschreibt FREUD als pathogen: Die Identifizierung als regredierte Objektwahl, also Aufgeben des Objekts und dessen Wiederaufrichtung im ICH, wobei die Deckungsstelle im ICH verdrängt gehalten werden muss usw.. Die Objektwahl zum Führer ist soweit pathogen als das sie mit der Verliebtheit, die mit Hörigkeit und Sexualüberschätzung einhergeht (Hypnose), die nicht durch eine reale Beziehung korrigiert werden könnte, sondern das Ideal des Führers wird von allen Massenindividuen an die Stelle des Ichideals (was auch die Realitätsprüfung beinhaltet) gesetzt - ein Projektions-introjektions-Mechanismus. Der Führer wird durch das Bild des Urvaters charakterisiert. Er erhält seine Macht und Unabhängigkeit durch seinen gesteigerten Narzissmus, der keine Bindungen nötig hat beziehungsweise aufgrund seiner Möglichkeiten der direkten Sexualbefriedigung keine zielgehemmten Sexualstrebungen entwickeln muss. Nun ist eine Gruppe keine Masse, in der ein Führer die libidinösen Bindungen zum Agieren für seine Zwecke missbraucht. Aber ein Gruppenleiter sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass solche Erwartungen und Bindungen auch in der Gruppe an ihn gestellt werden und er vor allem eine exponierte Stellung in der Gruppe einnimmt. Überträgt man die Massenpsychologie auf die Gruppe, so muss der Leiter noch nicht einmal Bindungen eingehen, damit die libidinöse Struktur funktioniert. Er hat dann die Rolle des "unbewegten Bewegers" übernommen. Dass Gruppen offensichtlich nicht ohne einen zumindest strukturierenden Leiter auskommen, zeigt BION in seinen "Erfahrungen in Gruppen". Hier versucht BION konsequent keine Leiterfunktion in der Gruppe zu übernehmen (sein Beitrag zur Gruppe ist, die aktuelle Verfassung der Gruppe zu verbalisieren - deuten, aufklären). In den beharrlichen Versuchen der Gruppenmitgliedern, Bion dennoch in eine Leiterfunktion zu drängen beziehungsweise ein anderes Mitglied oder etwas anderes (das Ungeborene) zum Führer zu küren, erkennt er einen Prozess der Angstabwehr vor unbekannten Bedingungen: Die Gruppe ist erst mit einem Leiter vollständig und ein bekanntes Terrain. Leider erklärt BION dieses Bestreben nur als eine Abwehr und entwickelt nicht die Triebgründe für dieses Verhalten. Als Gegenübertragung beschreibt Bion starke Zweifel an der Richtigkeit seiner Methode (er hatte zumindest schon einmal deswegen seinen Job verloren), aber er hat diese Unlust ausgehalten und konnte sich von dem Symptom, nämlich dem Glauben, dass Gruppen seine Bemühungen freundlich aufnehmen könnten, befreien. Diese Grundannahmengruppe kennzeichnet nach BION einen desolaten Zustand der Gruppe. Positiv dagegen stellt er die handlungsfähige, realitätstüchtige und strukturierte Arbeitsgruppe. Was in der Therapie die Wiederbelebung der ontogenetischen Triebentwicklung ist, ist in der Gruppe die Wiederbelebung früher Stufen der phylogenetischen Triebentwicklung (die Bindungen und Konflikte in der Urhorde). Ergeben sich daraus für den Pädagogen, der die Leitung einer Gruppe übernimmt, besondere Gefahren bei der Wahrnehmung und Handhabung seiner Gegenübertragung? Läuft die Gruppe gut und zur Zufriedenheit des Leiters, so besteht die Gefahr, dass der Leiter lediglich die "automatische und triebhafte" Funktionsweise der Grundannahmengruppe bedient beziehungsweise in die narzisstische Position des Führers tritt. So warnt OHLMEIER die Gruppenanalytiker davor ihre Gegenübertragungen von Größenphantasien, omnipotente Vorstellungen vom eigenen Charisma und die Gruppe als Kreis von "Jüngern" zu betrachten, auszuleben und fordert vielmehr sich der Schwierigkeit zu stellen, Distanz zur Gruppe zu halten, und seine Tätigkeit in Einsamkeit auszuüben. Aber auch Ohlmeiers Position ist keine sichere, denn der narzisstische Massenführer hat ebenfalls Distanz und ist allemal einsam. Diese Position verstärkt vielmehr den Narzissmus des Leiters und beschreibt damit nur die Rückseite der Medaille. Das Massenindividuum hat keine Chance, sich seiner pathogenen Gefühlsbindungen bewusst zu werden; das Gruppenmitglied aufgrund der Dauer und Überschaubarkeit der Gruppe und den Strukturen, die sie sich bewusst gibt, hat diese Chance schon eher. Es kommt aber vor allem auf den Leiter an, inwieweit dieser sich seines Narzissmusses bewusst ist, zwar ein Stückweit auch in die Rolle schlüpfen kann (nicht abwehren muss), um diese Struktur problematisieren und in der Schwebe halten zu können, seinen Narzissmus aber nicht ausagieren muss. |
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